Die blaue Frau von Heepen (Eifersuchtsdrama in Heepen)
Wenn man in einer hellen Vollmondnacht über den Heeper Tieplatz geht, kann man manchmal der blauen Frau begegnen. Sie schwebt mit klagender Stimme und flehenden Gebärden vorbei an der alten Vogtei, umrundet die Peter und Paulkirche und entschwindet hinüber zum Meierhof. Dort hockt sie dann bitterlich weinend auf einem Stein.
Es ist eine traurige Geschichte von Luise, der Tochter des Blaufärbers.
Dieser hatte seine Werkstatt in der Färbergasse nahe des Buschkamps.
Sie lag weit abgelegen, denn die Bauern ekelten sich vor dem Gestank, den die Gärung der Waidkugeln verbreitete. Diese stellte man her, indem man die zerkleinerten Blätter des Waid mit Urin verknetete, wobei besonders der von Jünglingen zwischen 12 und 14 Jahren bevorzugt wurde. Aus den durchgegorenen Knödeln gewann man dann das wertvolle Indigo, welches die blaue Farbe erzeugt.
Die verstreuten Ansiedlungen auf dem “Bylanfeld” hatten zunächst noch keine eigenes Gotteshaus, sie waren dem Kirchspiel “Hepyn” angegliedert, das bereits vor dem Jahre 1 000 eine Kirche errichtet hatte, zunächst aus Holz, später aus Findlingen mit 1.40 Meter dicken Mauern. Sie war die Urkirche für Bielefeld. Denn erst 250 Jahre später legte man dort, nachdem Bielefeld das Stadtrecht erlangt hatte, den Grundstein für eine Kapelle. Aus dieser hat sich die Altstädter Nikolaikirche entwickelt.
Luise war ein braves Mädchen. Und wenn sie am Sonntag zum Gottesdienst ging, ruhte so manches Männerauge begehrend auf ihr, doch keusch und sittsam senkte sie den Kopf. Doch eines Tages, sie war gerade 18 Jahre alt, bemerkte sie, dass Franz, der Sohn des Meyers, sie stets freundlich anlächelte, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Bald fühlten beide eine tiefe Liebe zueinander. Der Meyersohn erkürte Luise zu seiner Braut und bestellte das Aufgebot.
Nun waren die Bauern der 7 Kamphöfe sehr geachtet und wohlhabend. Auch hatten sie so manche Vorteile. Sie durften die “Flotten” (die Schlammablagen der Lutter) als Dünger benutzen, sie zogen für den Grundherrn die Abgaben ein, und sie waren Schöffen beim Thing, was ihnen den Beinamen “Die 7 Bösen” eingebracht hatte. Eine Ehe mit einem Meyersohn war für jede Jungfer sehr erstrebenswert.
Doch da war die Minna vom Nachbarhof, die begierig war, den flotten Burschen für sich zu gewinnen. Als sie Luise sagen hörte: Ich liebe den Franz, und Ich werde seine Braut sein”, geriet sie in großen Zorn: “Will etwa diese stinkende Metze sich ins gemachte Nest setzen?” Und voller Haß sann sie darauf, Luise zu schaden.
Es war an einem trüben Tag im November. Der Vater war mit dem Handkarren zum Weber gefahren, um Leinwand zu kaufen. Es war in der Legge auf seine Güte geprüft worden und wurde nun an der Leinenelle, die an der Kirchenwand angebracht war, abgemessen.
Luise war allein zuhause. Sie saß am Zeichentisch und dachte sich neue Muster für die “Models” aus, die dann sorgfältig ins Buchholz geschnitzt werden müssen. Die Vertiefungen wurden mit “Patt” gefüllt, das vom Model auf den Stoffgedrückt wird, und an diesen Stellen bleibt das Tuch ungefärbt. Ein Entwurf schien ihr besonders gelungen, und sie nahm sich vor, damit eine große Decke für ihre Aussteuer zu bedrucken.
Plötzlich klopfte es an die Türe. Eine alte Frau trat ein. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, trug eine grauhaarige Perücke und einen Schleier vor dem Gesicht. Mühsam stützte sie sich auf einen dicken Stock. Freundlich fragte Luise nach ihrem Begehren. “Ich möchte für meine Tochter einen Rock bestellen mit einer schönen Saumverzierung. Man sagte mir, Ihr habet die kunstvollsten Muster und die geschickteste Hand. Ich werde auch nicht an Kosten sparen.” Erfreut zeigte Luise einige Proben, und als die Frau weiter sprach: “Ich bewundere Eure Kunst sehr und bin neugierig. Könntet Ihr mir einmal zeigen, wie die schönen Stücke entstehen?” Bereitwillig führte Luise die Alte in die Werkstatt. Sie schien entzückt über die verschiedenen Models und bewunderte die Waidkugeln. Dann standen sie vor dem Färbetrog.
Da bekam die Alte auf einmal einen bösen Blick, und als Luise zu erklären begann, schwang sie mit voller Kraft ihren Knüppel und schlug ihn Luise aufs Haupt, und diese verlor die Sinne. Ein kurzer Stoß, und kopfüber stürzte das arme Mädchen in den Trog und ertrank in der blauen Farbe.
Grell lachend drehte sich die Alte, riß sich ihre Perücke herunter und …. Minna tänzelte mit wehend blonden Locken davon.
Als der Vater zurück kam, sah er voller Entsetzen von seiner toten Tochter nur noch zwei rosa Füße aus der blauen Soße herausragen. Körper, Haar und Kleid waren gefärbt.
Minna wurde schnell überführt. Sie hatte bei dem Stoß ein paar Spritzer ins Gesicht bekommen, die blauen Punkte hatten sie entlarvt. Franz brachte sie vor den Thing, und die 7 Bösen verurteilten sie zu hängen.Luise aber schwebt noch immer ruhelos durch den Ort und weint um ihren Franz.
Während der Grabungen beim Umbau der alten Heeper Kirche fand man unter einem Fliederbaum tief im Ge-wölbe einen Baumsarg. Darauf lag ein kunstvoll aus Buchenholz geschnitzter Christuskopf. Man holte einen gelehrten Mann, der vorsichtig den Deckel des Toten-schiffes hob. Da sah man, gebettet auf einem weißen Brokatkissen…eine Puppe. Ihre Haare waren kornblu-menblau und ihr Körper hatte die Farbe des Himmels, nur ihre zierlichen Füßchen schimmerten wie Perlmutt. Sie schien mit großen Augen den Professor anzuschauen, und vom Fliederbaum fiel ein Tautropfen und rollte wie eine Träne über ihre Wange.
Den Christuskopf kann man noch heute am Altar der Kirche betrachten.
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